Wenn das Selfie den Blick verstellt
Wir stehen vor den Wundern dieser Welt und durchleben dort oftmals ein Spannungsfeld zwischen intensivem Erlebnis und digitaler Selbstinszenierung. Angespornt durch die Omnipräsenz der Sozialen Medien bilden sich an den „instagrammable spots“ Trauben von Selfie-Sammlern, deren einziger Antrieb darin besteht, das Smartphone zu zücken und sich selbst ins Szene zu setzen. Der Drang ist kaum zu ignorieren. In diesen Momenten stellen wir uns die entscheidende Frage: Wie viel Eigenchoreografie muss sein?
Klar ist: Wir wollen keinen Reisedogmatismus predigen. Jeder darf selbst entscheiden. Unseres Erachtens liegt das Phänomen jedoch nicht im Foto selbst, sondern in der Perspektivverschiebung, die es erzwingt. Die Welt verkommt zur austauschbaren Kulisse, im Mittelpunkt steht stattdessen die egozentrische Präsenz.
Die Energie wird in die Perfektionierung der Pose investiert: Kleidung, Körperhaltung, Lächeln. Der Moment wird dem Ort entzogen. Die Geschichte, die Atmosphäre, der Geruch – all das wird zum vernachlässigbaren Hintergrundrauschen.
Der eigentliche Beschleuniger sind natürlich die Sozialen Medien inklusive Messenger-Dienste. Wir können das sogar mittels unseren Analyse-Dashboards belegen: Bilder, auf denen wir selbst abgebildet sind, generieren eine vielfach höhere Reichweite und Interaktion – und das, obwohl wir uns bewusst bemühen, primär die Umgebung in den Vordergrund zu stellen. Das zeigt eindeutig, was das Publikum fordert. Doch für uns zählt nicht die Reaktion auf die Trophäenjagd von Reise-Selfies, sondern die Reflexion auf die fotografisch untermauerten Impressionen und Erlebnisse.
Die Wahrheit ist: Wir werden lernen müssen, den Selfie-Wahn als neue Normalität im öffentlichen Raum zu akzeptieren. Das gestellte, choreografierte Foto hat sich als Teil des touristischen Aktes etabliert.
Wenn wir allerdings den Zauber der Orte nicht komplett verlieren wollen, liegt die Verantwortung und Rücksichtnahme bei jedem Einzelnen. Es geht darum, die Perspektive zurückzugewinnen und sich wieder darauf zu besinnen, warum wir das Reiseziel überhaupt gewählt haben.
Foto:
Nyhavn in Kopenhagen
Fassung des Artikels:
24. August 2025